Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie hält uns das Virus immer noch in Atem. Die drohende Überlastung des Gesundheitssystems und die Verschiebung von Reproduktionsarbeiten, wie Kindererziehung, Bildungsar-beit, in die Kleinfamilie – und damit auf den Rücken von Frauen – scheint sich ungebrochen fortzusetzen.

Corona trifft in kapitalistischen Staaten wie Deutsch-land auf Gesundheits- und soziale Dienstleistungssysteme, die darauf ausgelegt sind kostengünstig und profitorientiert zu funktionieren. Das hat wenig mit ihrem eigentlichen Zweck zu tun und wird in der Pandemie zum offensichtlichen Problem.Seit Jahrzehnten wird der Gesundheitssektor abgewirtschaftet und zu Profitzwecken ausgepresst. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems, den sogenannten DRGs, wird medizinische Versorgung nicht an Bedürfnissen der Patient:innen ausgerichtet, sondern anhand möglichst gewinnbringender Behandlungen. Durch die Privatisierung der öffentlichen Versorgung erschließt sich das Kapital einen profitablen Markt. Mittlerweile sind in Deutschland 40 Prozent des Gesundheitssektors privatisiert.

Seit 1995 wurden 500 Krankenhäuser, meist weil sie „nicht-profitabel“ waren, geschlossen und so viel Personal eingespart, dass heute eine Pflegekraft im Krankenhaus 30 Pro-zent mehr Patient:innen versorgen muss als 1995. Es ist wenig überraschend, dass dieses am Limit stehende System nun mit der Pandemie an seine Grenzen stößt.

Die kapitalistische Profitlogik prägt auch andere reproduktive Berufsbranchen, wie die Soziale Arbeit, Kinderbetreuung, die Hauswirtschaft oder die Reini-gungsbranche. Statt der Orientierung am Wohl der Menschen werden Personalkosten eingespart, Zeitli-mits für jeden Handgriff gesetzt und Einrichtungen an private Träger verscherbelt. Für jede geforderte Verbesserung heißt es: Kein Geld da! Und das nicht nur in Einrichtungen, die in privater Hand sind.

Wie die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst im Herbst 2020 zeigten, machen auch Staat und Kommunen fleißig mit beim Profitprinzip und gestanden einigen Berufsgruppen nicht einmal einen Inflationsausgleich zu. Am Ende des Tages geht es darum die Menschen möglichst kostengünstig „gesellschafts- und arbeitsfähig“ zu machen – und zwar im Sinne der kapitalistischen Funktionslogik. Wenn nötig und wo möglich wird gesellschaftlicher Bedarf auch ins Private verlegt. Bis heute werden große Teile der Altenbetreuung, Kindererziehung oder Krankheitspflege von Familienangehörigen übernommen und zwar in den meisten Fällen von Müttern, Schwestern, (Ehe-)Partnerinnen – Frauen.

Die kapitalistische Sparpolitik an menschlicher Gesundheit, Pflege, Sorge, Bildung und Erziehung geht somit auf Kosten derjeniger, die gepflegt oder anderweitig betreut werden müssen und auf Kosten der Beschäftigten, die im Rahmen reproduktiver Dienstleistungen, unter hohem Zeitdruck für menschliches Wohl sorgen, und auf Kosten von Frauen. Sie stellen nicht nur 80 Prozent der Beschäftigten in der bezahlten Reproduktionsarbeit, sondern leisten zusätzlich 80 Prozent der unentgeltlichen Haus-, Pflege- und Sorgearbeit.

Verbesserungen schaffen wir nicht durch Bitten und Flehen. Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen wir uns organisieren. Erst durch kollektives und solidarisches Handeln können wir den kapita-listischen Verhältnissen, die Frauen besonders und mehrfach ausbeuten, wirklich etwas entgegensetzen. Massenhaft streikende Pflegekräfte, massenhaft streikende Reinigungskräfte und massenhaft streikende Frauen, die die Reproduktionsarbeiten liegen lassen, sind ein starkes Mittel, um die kapitalistische Routine zu stören. Aber wir wissen auch, dass dieses System der Profitlogik und Ausbeutung nicht durch Reformen durchbrochen werden kann. Für eine am Wohl der Gesellschaft orientierte Reproduktionsarbeit brauchen wir den Bruch mit dem Kapitalismus.


HELFEND IN DEN BURNOUT — BERICHT AUS DER STATIONÄREN JUGENDHILFE

12 – 14 Stunden-Schichten, in der Regel ohne Pause, weil wir alleine im Dienst sind und sonst die Aufsichtspflicht verletzen würden. In den Nachtschichten werden 5 – 8 Stunden „Bereitschaftszeit“ nur mit 25% bezahlt, obwohl es eher die Ausnahme ist, dass wir zum Schlafen kommen. Wenn ich Überstunden mache, weil Kolleg:innen krank oder in Quarantäne sind, bekomme ich keinen Freizeitausgleich mehr, sondern nur die Auszahlung. Jeden Tag, den ich in die Arbeit gehe und jungen Menschen in Krisen beistehe, mich anschreien und bedrohen lasse und gleichzeitig im Bürokratiewahnsinn ertrinke, frage ich mich, warum wir uns das gefallen lassen. Chefs, Kommunen und Politiker:innen appellieren dann an unsere Moral. Für die armen Kinder sei zu wenig Geld da, wir könnten sie doch nicht im Stich lassen. Wenn wir am Ende des Tages im Burnout und in der Altersarmut landen interessiert es sie aber nicht. Soviel zum Thema Moral. Deshalb müssen wir uns organisieren und uns wehren. So wie es ist kann es einfach nicht bleiben.


PFLEGEKRÄFTE AM ENDE IHRER KRÄFTE — BERICHT EINER GEWERKSCHAFTERIN

Die Situation in den Krankenhäusern war vor der Pandemie prekär und sie wird es auch danach bleiben. Corona macht nur sichtbar, was die Pfleger:innen schon lange wissen: Es gibt viel zu wenig Personal. Sich angemessen um Patient:innen zu kümmern ist so unmöglich. Nachts ist oft eine Pflegekraft alleine für bis zu 20 Menschen zuständig. Entscheidungen treffen alleine Chefärtz:innen, oft mit Blick auf das Geld statt auf die Gesundheit der Patient:innen. Die Lasten müssen dann die Pflegekräfte tragen. Das Alles schlägt auch auf ihre Gesundheit: Krankheit wegen Stress und Überlastung ist hier Alltag. Kein Wunder, dass immer mehr Pflegekräfte keinen anderen Ausweg mehr sehen und den Beruf verlassen. Aber es geht auch anders: Während der Tarifkämpfe vergangenes Jahr haben mehr als 10.000 Kolleg:innen eine Fotopetition unterzeichnet, in der sie ein Ende des Outsourcings und der Fallpauschalen und mehr Personal gefordert haben. Klar reicht das nicht aus, aber es ist ein gutes Signal. Wirklichen Druck werden wir nur in Streiks oder anderen kreativen Arbeitskampf-Aktionen aufbauen können. In diese Richtung müssen wir uns bewegen!


DIESES JAHR WAR EINE HARTE HERAUSFORDERUNG! — KOMMENTAR EINER MUTTER

Kinderbetreuung weg, Schulunterricht von zu Hause, Arbeitszeit verkürzen, weniger Lohn aber insgesamt mehr Arbeit und ständiges Neuorganisieren. Wie das zu schaffen sein soll, ist mir eigentlich ein Rätsel! Das Private ist politisch, hat schon Ulrike Meinhof gesagt. Und dass sie recht hatte, ist mir erst als Mama so richtig klar geworden. Eine Kinderbetreuung finden die bezahlbar ist, trotzdem nur Teilzeit arbeiten können und dann noch der Berg an zusätzlicher Hausarbeit. Wenn sich für Frauen wie mich wirklich was ändern soll, muss sich in der ganzen Gesellschaft was ändern. Schon vor Corona war es bei Vielen eng. Aus Frauensicht ist das, was dann mit der Pandemie noch dazukam, ein krasser Rückfall in die 50er Jahre der BRD. Aber es gab in den letzten Monaten auch die andere Seite: Wir haben uns als Frauen organisiert und uns gegenseitig gestärkt. Zum Frauenkampftag am 8. März war das endlich mal wieder auch auf der Straße sichtbar! Wir sind nicht nur Betroffene, sondern auch diejenigen, die richtig Druck machen können! Und: Wir sind die Hälfte der Menschheit!

Übersichtsartikel zum 1. Mai | Download revolutionäre 1.Mai Zeitung

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