SIKO
Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz im Luxushotel Bayrischer Hof stand, wie zu erwarten war, ganz im Zeichen des verschärften Kriegskurses des NATO-Lagers. Die richtungsweisenden Beiträge betonten den Willen, den Abnutzungskrieg in der Ukraine mit weiterer finanzieller und militärischer Unterstützung an die Ukraine aufrecht zu erhalten. Dabei wurde vor allem an die USA appelliert, an diesem Kurs, der in der EU maßgeblich von Deutschland vorangetrieben wird, festzuhalten – Teile der Herrschenden in den USA tendieren hin zu einer Verringerung des Engagements in der Ukraine, um die Kosten des festgefahrenen und kräftezehrenden Krieges den europäischen Mächten zu überlassen und sich auf die militärische Zuspitzung im Indopazifik gegen den stärkeren Konkurrenten China zu konzentrieren.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Verlautbarungen von Pistorius und von der Leyen zu verstehen, die sich für eine Erhöhung des deutschen Rüstungetats über das 2% Ziel der NATO hinaus, für eine gemeinsame EU-Rüstungsstrategie und die Einsetzung eines EU-Verteidigungskommissars aussprachen.
Proteste
Trotz 5.000 Bullen und 400 Soldat:innen, die zum Schutz der Konferenz und ihrer Teilnehmer:innen aufgefahren wurden, gab es vielschichtigen Protest.
Flashmob
Im Vorfeld verminten Münchner Antimilitarist:innen in einer Flashmob-Aktion symbolisch den Eingang einer Propaganda-Ausstellung zum 60. Jubiläum der Konferenz und machten auf die Verbrechen des deutschen Imperialismus aufmerksam – ein breites Portfolio, das Abschottungspolitik, Waffenexporte, Kriegsbeteiligungen und Umweltzerstörung umfasst.
(Quelle: In Aktion gegen Krieg und Militarisierung, Instagram-Account)
Markierung
Am Vormittag des 17. Februar wurde der Militärdienstleister und Software-Entwickler „ESG“ im Nahe bei München gelegenen Fürstenfeldbruck mit Farbe angegriffen. Das Unternehmen geht derzeit in die Hände des Rüstungskonzerns Hensoldt über, von dessen Aktien der deutsche Staat 25% hält. Das Unternehmen produziert unter anderem Softwäre für die Bayraktar-Drohnen, die vom türkischen Staat in seinem Zermürbungskrieg gegen die kurdische Guerilla und die Bevölkerung und Infrastruktur der Selbstverwaltung in Rojava eingesetzt werden.
(Quelle: https://de.indymedia.org/node/341227)
(Quelle: https://de.indymedia.org/node/34089 Hier finden sich noch weitere Bilder der Aktion und eine Erklärung)
Demo
Am Nachmittag des 17.2. fand die alljährliche Bündnisdemo mit etwa 3.000 Teilnehmer:innen unter dem Motto „Kriegstreiber unerwünscht“ statt, an der wir uns mit einer Mobilisierung auf den antikapitalistischen Block beteiligten. Besonders prägend war in diesem Jahr die Palästina-Solidarität, die durch einen eigenen Palästina-solidarischen Block, aber auch darüberhinaus in großen Teilen der Demo mit Fahnen, Transparenten, Parolen und Kufiyahs sichtbar war.
Am antikapitalistischen Block beteiligten sich über 700 Genoss:innen in größtenteils organisierten Reihen.
Es wurden Redebeiträge in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung von „Palästina spricht“ und für die Verteidigung der Rojava-Revolution und der kurdischen Befreiungsbewegung von „Defend Kurdistan“ gehalten (der türkische Außenminister Fidan und der israelische Präsident Herzog haben selbst an der diesjährigen SIKO teilgenommen). Dazu zündete der Block Leuchtfontänen und Bengalos in Rot, Gelb, Grün um die Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf sichtbar zu machen. In dem Lichtermeer schwangen Fahnen mit dem Portrait von Abdullah Öcalan, um die zehntausenden Genoss:innen und Hevals zu grüßen, die am selben Tag für die dessen Freiheit in Köln auf die Straße gegangen sind. Außerdem sprachen Aktivist:innen des offenen Treffens „In Aktion gegen Krieg und Militarisierung“ aus München und vom Roten Kollektiv Kiel, um ein bundesweites Protestcamp der Kampagne „Rheinmetall Entwaffnen“ vom 3. – 8. September in Kiel anzukündigen.
In Moderationsbeiträgen wurde das Wirken und der Beitrag von Revolutionär:innen in verschiedenen Etappen des Kampfes gegen imperialistische Kriege dargestellt: Von Karl Liebknecht, Inge Viett, Angela Davis, Sakine Cansiz. Die Beiträge wurden begleitet von einer Schilderaktion, bei der die Bilder von Kriegsprofiteuren von Plakaten gerissen wurden und die Bilder der Revolutionär:innen unter Konfettiregen zu Vorschein kamen.
Im Anschluss an die Demo gab es bis in die späten Abendstunden einen internationalistischen Ausklang mit mehreren hundert Teilnehmer:innen. Wir beteiligten uns mit einem kurzen Beitrag, in dem wir auf Bedingungen, Potenziale und Qualitäten des Antikriegskampfes und auf generelle Orientierungen revolutionärer Politik in der aktuellen Phase eingingen.
Im Anschluss folgten mehrere politisch-persönliche Beiträge zum Gedenken an drei Genossen, die in den vergangenen Monaten von uns gegangen sind – Thomas / Azad Serger, Claus Schreer, und Arthur waren Teil der antimilitaristischen Bewegung in Süddeutschland und Sozialisten. Ihr Andenken und die Bewahrung der vielseitigen Erinnerungen an sie, begreifen wir als einen Teil der weiteren politischen Arbeit, den es kollektiv zu tragen gilt. Zum Ausklang des Beisammenseins traten internationalistische Musiker:innen verschiedener Genres auf.
In der Woche vor der Sicherheitskonferenz war der Geburtstag des Genossen Azad Serger, der sich vor sieben Jahren der kurdischen Guerilla angeschlossen hat. Er ist im Zuge einer erfolgreichen Operation gegen die türkische Besatzungsarmee am 15. Juni 2023 in Südkurdistan gefallen. Mit einem aufwändig gemalten Doppelhalter mit seinem Portrait und seinem Zitat „Nichts ist schöner als Teil dieser Revolution zu sein“, wurde das Andenken an ihn auch auf der Demo hochgehalten.
Hier ein Teil unseres Beitrags auf dem Fest:
Einige Überlegungen zum Antikriegskampf:
Linke Antikriegsaktivitäten haben derzeit einen schweren Stand:
- Die bürgerliche Ideologie vom westlichen Kampf um Freiheit, Demokratie, Souveränität etc. ist derzeit so intensiv und durchdringend, wie schon lange nicht mehr – und sie reicht leider auch weit bis in die radikale und liberale Linke hinein.
- Es gibt ein hohes Level an staatlicher Repression und medialer Stigmatisierung gegen linke Positionen, die sich gegen die westlichen Kriegstreiber richten
- rechte und rechtsoffene Kräfte sind derzeit in der Lage, sich als Kriegsgegner zu inszenieren. Reaktionäre und verschwörungstheoretische Positionen in der Kriegsfrage finden verhältnismäßig viel Beachtung und sind ein zusätzliches Gegengewicht zu klassenkämpferischen und internationalistischen Positionen.
- Und wir sollten nicht vergessen, dass Orientierungspunkte für einen linken Antikriegskampf weit weg sind bzw. weit zurück liegen: Die letzten Massenproteste und Massenstimmungen gegen deutsche Kriegsbeteiligung, in denen linke Positionen und Strukturen eine gewisse Rolle gespielt haben und größere Strahlkraft hatten, sind inzwischen 20 Jahre her (Irak-Krieg 2003). Nur wenige Strukturen der radikalen und revolutionären Linken haben in den letzten Jahren eine kontinuierliche praktische Arbeit zu Krieg und Aufrüstung aufrecht erhalten
Wir gehen allerdings davon aus, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse aktuell nicht stabil sind – und dass diese hemmenden Faktoren damit auch nicht bestimmend bleiben müssen.
Wir befinden uns in einer Phase, in der die Krise des Kapitalismus Widersprüche an vielen Stellen gleichzeitig aufreißt. Und es gibt eine gegenseitige Bestärkung dieser Krisenmomente.
Zur Bewältigung dieser Situation geht das gesamte bürgerliche Lager derzeit Schritte in eine autoritäre Richtung, die sich auch im aktuellen Kriegskurs niederschlägt. Von (noch kleinen) Teilen wird dabei sogar die faschistische Option wieder ins Rennen gebracht – und das sollte schon deshalb ernstgenommen werden, weil reaktionäre Antworten auf die Krise auch von breiten Teilen der Bevölkerung in unterschiedlicher Schärfe mitgetragen werden.
Trotz dieser Entwicklungen ist unklar, ob es den Herrschenden gelingen kann, den dynamischen Aufbruch von Klassenwidersprüchen – so könnte man die Auswirkungen der Krisendynamiken zusammenfassen – unter Kontrolle zu bringen und auf lange Sicht zu befrieden. Es scheint uns wahrscheinlicher, dass wir auf eine unruhige Phase neuer Protestbewegungen und sozialer Kämpfe zusteuern.
Es stellt sich also auch bei dem aktuell sehr hektisch vorangetriebenen Kurs von Aufrüstung, Kriegsbeteiligung und ideologischer Mobilmachung die Frage: Wo stößt er an seine Grenzen, wo bringt er Gegenkräfte hervor?
In Keimform lassen sich solche Entwicklungen schon erahnen:
- Eine wirkliche Kriegslust hält sich allem Enthusiasmus der herrschenden Propaganda zum Trotz in Deutschland noch in Grenzen. Der Kurs auf eine schnelle Erhöhung der „Wehrtüchtigkeit“ konnte noch nicht im größerem Maße in der Bevölkerung verankert werden.
- Diejenigen, die heute schon in Aktion gegen Kriege treten, befinden sich schnell in härterer Konfrontation mit einem Staat, der immer weniger dazu bereit ist, Abweichungen vom dominierenden Kurs zu dulden oder zu integrieren. Das kann die Radikalisierung von Kämpfen bestärken.Spürbar ist das aktuell wohl in erster Linie in der Frage der Palästina-Solidarität.
- Der Kriegskurs selbst kann zum Krisenkatalysator werden, also Krisen in anderen gesellschaftlichen Bereichen verstärken oder hervorrufen, was sich bereits am Wirtschaftskrieg gegen Russland mit den explodierenden Energiepreisen und der Tendenz zur Deindustrialisierung gezeigt hat.
Es deutet sich nicht an, dass diese Entwicklungen in einem direkten Aufschwung einer linken Antikriegsbewegung münden. Aber: Die linken Antikriegs-Aktivitäten, die es heute dennoch gibt, sind vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund sehr wichtig, um politische Orientierung zu bieten, an der es im Allgemeinen mangelt – und das nicht nur in der Breite der Bevölkerung, sondern auch in der Linken. Es hat einen langfristigen Wert, heute Ansätze für Kampagnen und längerfristige Antikriegsarbeit auszuprobieren und nach Formen für eine widerständige, kämpferische Praxis zu suchen.
Dabei können bereits „im Kleinen“ verschiedene Dimensionen des Antikriegskampfes miteinander verbunden werden, was dem Kampf eine gewisse Tiefe verleiht, ihn als Teil eines revolutionären Prozesses umreißt. Wichtige Dimensionen sind:
1. den Angriff auf die Kriegstreiber im eigenen Land
2. die internationale Solidarität
3. die Verbindung zu anderen Widerstandskämpfen (z.B. Arbeitskämpfe, Frauenbefreiung, Kampf gegen Rechts, Klimakampf…)
4. die Verbindung zur Geschichte des antagonistischen / revolutionäreren Antikriegskampfes
5. die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft
Eine besondere Qualität von Mobilisierungen, sehen wir in der Einbeziehung und Verbindung dieser verschiedenen Zusammenhänge. Und wir denken, dass das auch an einigen Stellen in der Arbeit rund um die diesjährigen SIKO-Proteste sichtbar war.
Was wir an dieser Stelle außerdem als Qualität hervorheben möchten, ist es, an einem organisierten und kämpferischen Auftreten auf der Straße festzuhalten – es ist wichtig, dass Inhalt und Form nicht zu weit auseinanderfallen. Und wenn der Sturz des Kapitalismus das Ziel ist, sollte das auch in der Art und Weise auf die Straße zu gehen, sichtbar sein.
Wir wissen, dass das gerade hier in München keine einfache Sache ist. In diesem Zusammenhang möchten wir auch nocheinmal darauf hinweisen, dass Aktivist:innen heute mit einer Aktion gegen das Rüstungsunternehmen „ESG“ in Fürstenfeldbruck einen Weg gefunden haben, um selber den Ort, die Zeit und die Art der Konfrontation mit den Kriegstreibern selbst zu bestimmen
Teil des revolutionären Aufbaus
In der aktuellen Phase sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, Gegenmacht aufzubauen, uns mit Offenheit und Fehlertoleranz an eine zeitgemäße revolutionäre Strategie heranzutasten. Das heißt:
- Vor allem praktische Handlungsfähigkeit auf verschiedenen Feldern des Klassenkampfes herzustellen. Dazu zählen wir auch politische Widerstandskämpfe, deren Klassencharakter nicht immer im Vordergrund steht. Auch wenn das meist eher ein Vorantasten und Ausprobieren ist und noch keinen Massencharakter hat – so zum Beispiel bei den Antikriegsaktivitäten
- Tragfähige revolutionäre Organisierungen zu entwickeln, die für langen Atem sorgen und den Angriffen der Gegenseite auf linke Politik standhalten können
- Die revolutionäre Alternative – den Aufbau des Sozialismus – in den Tageskämpfen sichtbar machen – dafür zu argumentieren, die Möglichkeit überhaupt wieder ins zu Rennen bringen. Dabei spielen auch die Verbindungslinien zu vergangenen revolutionären Bewegungen und sozialistischen Versuchen eine wichtige Rolle für uns – als Teil der eigenen Geschichte, die wir uns solidarisch, aber nicht unkritisch aneignen.
Auch wenn das alles im Alltag nicht leicht zu verwirklichen ist, sehen wir derzeit doch eine vielversprechende Suchbewegung in großen Teilen der linken und revolutionären Bewegung.
Der Bedarf nach Austausch und Orientierung ist überall spürbar. Im vergangenen Herbst beim Zusammenkommen auf dem Protestcamp gegen die IAA hier in München, ebenso bei der Konferenz zum 100. Jubiläum des Hamburger Aufstands und vor ziemlich genau einem Monat bei den Aktivitäten rund um das Gedenken an Luxemburg-Liebknecht und Lenin in Berlin – um nur ein paar Beispiele des Zusammenkommens aus den letzten Monaten zu nennen.