Ein Volksaufstand unter Ausgangssperre – Chile in Zeiten von Corona

AMERIKA21 – Die Corona-Pandemie könnte sich als Brandbeschleuniger in der Suche nach neuen und vielleicht gar wirkungsvolleren Protestformen gegen das neoliberale Modell Chile erweisen
Die Corona-Pandemie trifft Chile in einem politisch heiklen Moment. Noch nie in der Geschichte des Landes hatte ein Präsident und seine Regierung eine niedrigere Zustimmung der Bevölkerung. Diese lag bis vor einem Monat noch bei rund sechs Prozent.
Bis Anfang März dieses Jahres nahmen Millionen Menschen an den Protesten gegen das neoliberale Wirtschaftssystem des Landes teil, die im Oktober vergangenen Jahres ihren Anfang nahmen. Nun hat die Corona-Pandemie die Demonstrationen, die tägliche Zusammenkunft von Demonstranten an der Plaza Dignidad1 und viele weitere öffentliche Protestformen im ganzen Land erstmal gestoppt. Doch sie sind keinesfalls beendet. Die Corona-Krise könnte die sozialen Auseinandersetzungen im Land sogar noch weiter verschärfen.
Seit Oktober 2019 protestieren die Chilenen gegen das neoliberale Wirtschaftssystem, das in der Militärdiktatur Augusto Pinochets eingeführt wurde und seit dem Übergang zur Demokratie in den 1990er Jahren weiter vertieft wurde. Zu den schwerwiegendsten Konsequenzen gehört dabei die starke Ungleichheit der Einkommen und des Reichtums.2 Diese verschärft sich wiederum durch die Privatisierung, u.a. der Gesundheits-, Bildungs- und Rentensysteme, wodurch sich in diesen Bereichen die Klassen nicht nur reproduzieren, sondern sich gleichzeitig die Kluft zwischen ihnen vertieft. Während sich eine kleine Elite Sozialleistungen leisten kann, die europäische Standards übertreffen, müssen sich andere für defizitäre Leistungen hoch verschulden. Der Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung hängt weitestgehend vom Einkommen der Betroffenen ab. Allerdings ist nicht nur die Qualität nicht gewährleistet, sondern auch der Zugang an sich. Rund 26.000 Patienten sterben jährlich in Chile während sie auf Wartelisten auf einen Krankenhausplatz warten.
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